Innerhalb weniger Monate haben Biotechnologieunternehmen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickelt. Wie unbedenklich ist die Corona-Schutzimpfung?
Normalerweise vergehen 15 bis 20 Jahre, ehe Hersteller einen Impfstoff bis zur Marktzulassung bringen. Dieses Mal geht es schneller – auch, weil Expertinnen und Experten über neue Technologien verfügen und auf Erkenntnissen aus anderen Impfstoffprojekten gegen verwandte Viren aufbauen konnten. In einem Kraftakt ohnegleichen haben Forscherinnen und Forscher weltweit zeitgleich daran gearbeitet, ihre Ergebnisse miteinander geteilt und direkt an die Prüfbehörden weitergegeben. So ein globales wissenschaftliches Zusammenwirken gab es vor dieser Pandemie noch nie. Mehrere Biotechnologieunternehmen haben so in kurzer Zeit Impfstoff-Kandidaten entwickelt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befinden sich aktuell 48 mögliche Impfstoffkandidaten im Test, 164 weitere sind in der vorklinischen Entwicklung.
Am 27. Dezember 2020 wurden die ersten Personen in Deutschland gegen COVID-19 geimpft. Ein wichtiger Schritt, um den Weg aus der Pandemie zu ebnen und Menschenleben zu retten. Denn wenn circa 70 Prozent der Bevölkerung immun sind, wird das Übertragen von SARS-CoV-2 so sehr verringert, dass die Coronakrise vorübergeht. Ein Teil der Bevölkerung – davon ist auszugehen – verfügt bereits über einen Schutz durch die Infektion selbst. Klar ist jedoch: Je mehr Menschen geimpft werden, desto weniger Wirte findet das Virus. Und umso schwerer sind die Bedingungen für die Ausbreitung des Virus. Noch weiß man nicht, ob Geimpfte möglicherweise noch Überträger des Coronavirus sein können. Jedoch lassen sich eine symptomatische Infektionskrankheit, ein schwerer Verlauf und demnach auch das Sterben von Infizierten verhindern.
Aktuell befinden sich einige aussichtsreiche Impfstoff-Projekte in einer fortgeschrittenen Testphase. Darunter erste Impfstoff-Kandidaten, für die bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein Antrag auf Zulassung gestellt wurde.Alle Impfstoffkandidaten basieren auf einem Grundprinzip: Sie präsentieren dem Immunsystem Teile (Antigene) des neuartigen Coronavirus. Dadurch baut der Körper eine Immunität gegenüber dem Erreger auf. Expertinnen und Experten unterscheiden grundsätzlich drei Typen: Impfstoffe mit Vektorviren, Totimpfstoffe mit Virusproteinen sowie mRNA/DNA-Impfstoffe.
Impfstoffe mit Vektorviren: Vektorimpfstoffe enthalten für den Menschen harmlose Erreger – die Vektoren. Sie tragen ein oder mehrere Moleküle (Antigene) des Krankheitserregers, um eine Immunantwort auszulösen. Man unterscheidet sogenannte replizierende (d.h. in den Zellen auch neue Viruspartikel produzierend) und nicht-replizierende Vektorimpfstoffe. Ein Beispiel ist der Impfstoff „Ervebo“ gegen Ebola, den die Europäische Kommission im November 2019 europaweit zugelassen hat. Bei den Veränderungen des Vektors wird stets auf dessen Unbedenklichkeit gegenüber Mensch und Umwelt geachtet.
Totimpfstoffe mit Virusproteinen: Dieser Impfstofftyp enthält abgetötete Krankheitserreger, die nicht vermehrungsfähig sind. Bakterien, Hefe oder Säugerzellen produzieren das Virusprotein, das später als Antigen im Impfstoff verwendet wird.
mRNA-/DNA-Impfstoffe: Genbasierte Impfstoffe kommen ohne Krankheitserreger oder deren Bestandteile (Antigene) aus. Sie enthalten lediglich Teile der Erbinformation des Virus – in Form von mRNA bzw. DNA. Diese stellen den Bauplan für ein oder mehrere Virusproteine bereit. Nach der Impfung nehmen einige wenige menschliche Körperzellen die mRNA oder DNA auf, die den Körperzellen als Vorlage dienen, um die Virusproteine selbst zu produzieren. Wichtig ist: Es wird nur ein Bestandteil des Virus gebildet, sodass ein Entstehen von kompletten vermehrungsfähigen Viren ausgeschlossen ist. Die neu gebildeten, ungefährlichen Virusproteine (Antigene) aktivieren das Immunsystem und erzeugen die schützende Immunantwort. Falls eine geimpfte Person später in Kontakt mit SARS-CoV-2 kommt, erkennt das Immunsystem das Antigen und bekämpft das Virus bzw. die Infektionskrankheit gezielt. mRNA-Impfstoffe haben – gerade mit Blick auf das Bewältigen der Pandemie – einen entscheidenden Vorteil: Sie verfügen über eine einfache Struktur und gewährleisten das Herstellen von vielen Millionen Impfdosen in nur wenigen Wochen.
Forscherin Prof. Dr. med. Marylyn Addo über die unterschiedlichen Impfstoff-Typen
Im Kampf gegen das Coronavirus steht ein Kandidat im Fokus – ein mRNA-Impfstoff des deutschen Unternehmens BioNTech in Kooperation mit dem Pfizer-Konzern. Am 21. Dezember 2020 ist der Impfstoff von der Europäischen Kommission zugelassen worden. Die Zulassung des zweiten mRNA-Impfstoffs der US-Firma Moderna folgte am 6. Januar. Doch nun fragen sich viele: Beeinflussen genbasierte Impfstoffe das Erbgut?
Beim Menschen befindet sich das Erbgut in Form von DNA im Zellkern. Ein direkter Einbau von mRNA aus dem Impfstoff in die DNA ist nicht möglich, da sich die chemischen Strukturen voneinander unterscheiden. In 60 Jahren mRNA-Forschung haben Wissenschaftler:innen noch nie beobachtet, dass mRNA aus dem Zellplasma in den Zellkern eindringt und somit das Erbgut verändern könnte. Wichtig ist auch: In fast allen Körperzellen befinden sich zu jedem Zeitpunkt zehntausende mRNA-Moleküle. Auch Viren, die beispielsweise einen Schnupfen verursachen, bringen regelmäßig mRNA-Teile in die Körperzellen ein – genauso wie das Coronavirus selbst, wenn sich eine Person mit diesem Erreger infiziert. Jedoch hat dieser Vorgang – genauso wie eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff – keine Auswirkungen auf das im Zellkern enthaltene Erbgut.
Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die von den Körperzellen nach der Impfung aufgenommene mRNA in DNA umgewandelt wird. Eine Vielzahl von präklinischen Studien zeigt, dass ein Integrieren eines DNA-Plasmids in das menschliche Genom grundsätzlich ausbleibt. Dies haben bisherige klinische Prüfungen mit humanen DNA-Impfstoffkandidaten (gegen Ebola, Zika und andere) sowie Untersuchungen mit einem zugelassenen DNA-Veterinärimpfstoff für Fische bestätigt. Somit gibt es nach heutigem Wissensstand keine Anzeichen, dass mRNA-Impfstoffe die Gene des Menschen beeinflussen.
Können RNA-Impfstoffe unsere Gene manipulieren?
Jeder Impfstoff muss sicher, wirksam und gut erprobt sein, bevor er eine Marktzulassung in der EU bzw. in Deutschland erhält. Diesen Nachweis muss der Hersteller in vorklinischen Untersuchungen und klinischen Prüfungen erbringen. Das Studienprogramm gliedert sich in drei Phasen:
Phase I-Studien: Expertinnen und Experten testen die Wirksamkeit und Verträglichkeit an einer kleinen Studienpopulation von weniger als 100 gesunden Probandinnen und Probanden. Während der Corona-Pandemie wurden sogar mehrere hundert Probandinnen und Probanden hinzugezogen.
Phase II-Studien: Üblicherweise finden in dieser Phase Erhebungen zur Dosisfindung und Verträglichkeit eines Impfstoffes an einer größeren Anzahl von Probandinnen und Probanden statt (mehrere 100). Bei SARS-CoV-2 haben Expert:innen mehrere tausend Probandinnen und Probanden beteiligt.
Phase III-Studien: Es erfolgen Untersuchungen zur Bestätigung der Konsistenz des industriellen Herstellungsverfahrens sowie zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit an mehreren tausend bis mehreren zehntausend Probandinnen und Probanden – je nach Impfstoff.
Zulassung von Impfstoffen
In Deutschland erfolgt die Zulassung eines Impfstoffs nur dann, wenn er alle drei Phasen des klinischen Studienprogramms besteht. Diese nationalen und internationalen Qualitätsstandards gelten – wie bei allen anderen Impfstoff-Entwicklungen – auch bei der Zulassung einer Corona-Schutzimpfung. Bis vor wenigen Jahren hätten Beteiligte für das Durchlaufen aller Etappen bis zu 20 Jahre angesetzt. Doch neue Technologien, Vorerfahrung mit Impfstoffprojekten gegen verwandte Viren (z.B. MERS-CoV) und das intensive Zusammenarbeiten mit den verantwortlichen Behörden ermöglichen, so schnell wie noch nie einen Impfstoff zu entwickeln, der den Qualitätsanforderungen entspricht.
Nein. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist zuständig für die Genehmigung der klinischen Prüfungen in Deutschland und ist an der europaweiten Zulassung durch die Europäische Kommission beteiligt. Das Paul-Ehrlich-Institut und die EMA beschleunigen alle Prozesse rund um einen Impfstoff gegen COVID-19 und bewältigen diese mit erhöhtem Personaleinsatz. So können die Expertinnen und Experten der nationalen Arzneimittelbehörden der EU oft vor Beginn des Zulassungsverfahrens erste Daten der Impfstoff-Entwickler sichten und bewerten. Die Unternehmen wiederum hatten bereits mit der Produktion begonnen, obwohl die Möglichkeit besteht, dass der entsprechende Impfstoff in der Erprobung scheitern und nach der unabhängigen Prüfung der Behörden nicht zugelassen werden könnte. Dieses Risiko nehmen die Hersteller in Kauf.
Grundsätzlich beschleunigen die Beteiligten die Testverfahren also nicht, indem sie Überprüfungen auslassen. Stattdessen führen sie die in der Regel nacheinander stattfindenden Studien teilweise parallel durch und bereiten die Zulassungsverfahren frühzeitig vor. Laut EMA sollen dabei die Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit unverändert hoch bleiben. Über die Zulassung entscheidet im letzten Schritt die EU-Kommission.
Das beschleunigte Zulassungsverfahren ist nicht zu verwechseln mit dem Notfall-Zulassungsverfahren, das in einigen anderen Staaten durchgeführt worden ist.
Nein, auch etablierte Impfstoffe haben Nebenwirkungen. Wichtig ist, diese genau zu kennen. Eine zentrale Aufgabe des Prüf- und Zulassungsverfahrens ist es, die Nebenwirkungen klar zu beschreiben – und auch zu benennen, für welche Personengruppen und in welchem Ausmaß diese auftreten können. Für Deutschland erfasst das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nach der Zulassung eines Impfstoffs zentral alle Nebenwirkungen und Impfreaktionen – unabhängig vom Hersteller. Durch das Zusammenfassen von nationalen und internationalen Beobachtungen stellen die Beteiligten sicher, dass auch Risiken von Impfstoffen erfasst werden, die so selten sind, dass sie erst bei einer sehr großen Anzahl durchgeführter Impfungen sichtbar werden.
Eine Langzeitstudie liegt derzeit noch nicht vor. Demnach gibt es kaum Erkenntnisse über mögliche Spätfolgen einer Impfung. Dennoch können Expertinnen und Experten für den Moment Rückschlüsse im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen aus vergangenen Forschungsprojekten ziehen, die in Verbindung mit vergleichbaren Inhaltsstoffen standen. Grundsätzlich deuten bislang keine Untersuchungen auf schwere Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen hin.
Um das Wissen über die Verträglichkeit des Impfstoffs zu erweitern, können Geimpfte ihre Symptome unter www.nebenwirkungen.bund.de melden. Hierfür ist ebenfalls die Paul-Ehrlich-Institut-Smartphone-App "SafeVac 2.0" nutzbar.
Hier können Sie die App im Apple AppStore und hier im Google Play Store herunterladen.
Für eine Grundimmunisierung müssen sich Personen zweimal impfen lassen – im Abstand von drei bis vier Wochen. Nach der zweiten Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty dauert es sieben Tage bis der Schutz vollständig vorliegt. Ob, wie bei Influenza, die Impfung jedes Jahr erfolgen muss, ist noch offen.
Eine Impfpflicht – das bekräftigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vielerorts – wird es nicht geben. Genauso wenig müssen Bürgerinnen und Bürger die Impfung zahlen. Sie ist kostenlos.
Zuerst sollen diejenigen geimpft werden, die bei einer Coronavirus-Infektion besonders gefährdet sind – unter anderem Personen ab einem Alter von 80 Jahren und Bewohnerinnen und Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen. Genauso sollen das medizinische Personal und Menschen, die ein besonders hohes berufliches Risiko haben, sich oder schutzbedürftige Personen anzustecken, Priorität haben und früh geimpft werden.